Bestechung und Bestechlichkeit
Sie sehen heute wieder bestechend aus. Wen möchten Sie denn heute bestechen? –
Mit Ihrer bestechend schönen Arbeit haben Sie die Stellenausschreibung gewonnen. Ihre Mitbewerber bleiben deshalb arbeitslos. Ist Ihnen das bewusst? –
Ihr bestechender Geist hat schon so manchen fasziniert. Sind Sie sich über die Folgen, die dies haben kann, im Klaren? –
Ihre bestechenden Fähigkeiten wirken auf viele sehr bestechlich. Hält das Ihren moralischen Grundsätzen stand? –
Das Geschenk, das Sie machten, ist als aktive Bestechung gewertet worden. Können Sie das nachempfinden? Fühlen Sie sich schuldig? –
Sind Sie bestechlich, wenn Ihnen Ihr Geschäftspartner verspricht, dass Sie im Preisausschreiben, bei dem der Rechtsweg ausgeschlossen ist, den Hauptpreis gewinnen werden, wenn Sie ihm den lukrativen Auftrag geben? –
Halten Sie es für Bestechung, dass Sie zu Weihnachten eine Kiste Wein frei Haus geliefert bekamen, weil Sie in Ihrer Gemeinde im Gemeindevorstand sind und dort für das Wohl aller eintreten? –
Bestechung und Bestechlichkeit sind im Alltag offen und verdeckt, erkannt und unerkannt, ständig präsent. Ich behaupte, dass wir alle in irgendeiner Weise bestechlich sind. Allerdings entspricht es meiner persönlichen Erfahrung, dass es im Wirtschaftsleben System geworden ist – und das seit langer Zeit. Wer in unserer so genannten freien Marktwirtschaft etwas werden will, muss mit den Wölfen heulen – und das bedeutet, einen (Schleich-)Weg finden, wie man durch Zugaben an jenen Auftrag kommt, den sonst ein anderer erhalten würde. Die Politik hängt da mit am Tropf, denn sie ist in wirtschaftlichen Zwängen, die es bedingen, dass sie im System mitschwingt.
Wenn ich fairer Weise erst einmal vor der eigenen Tür kehre, stelle ich fest, dass zu jenem Zeitpunkt, als ich Lehrling bei der Frankfurter Neuen Presse war, Redaktion und Anzeigen streng getrennt wurden. Auch damals gab es schon Großkunden, die redaktionelle Zugeständnisse haben wollten, wenn sie große Anzeigen-Aufträge erteilten. Doch die moralischen Grundsätze wurden in aller Regel eingehalten: Der Redakteur ließ sich nicht bestechen; folglich hatte der Kunde keine Möglichkeit, über den Anzeigenleiter zu bestechen. Dann gab es eines Tages die Public Relations, redaktionell gestaltete Anzeigen, die in der Regel kaschierte Preiszugeständnisse waren. Wehe, wenn dies die Wettbewerbshüter von der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs mitbekamen. Dann gab es empfindliche Geldstrafen. Schließlich brachen aber alle Dämme, als im Rahmen einer Europäischen Gesetzgebung die Zugabe-Ordnung aufgeweicht wurde. Jetzt durfte gehandelt werden. Preislisten wurden mehr oder weniger überflüssig, denn kein Kunde ließ es sich nehmen, zu handeln. Im Wettbewerb kam es nun darauf an, den jeweiligen Gesprächspartner mit irgendetwas zu bestechen, dass er sein Werbebudget dem zukommen ließ, der entweder den höchsten Rabatt auf die Anzeige gab oder eine möglichst große redaktionelle Zugabe versprach. Leserreisen konnten eventuell kostenlos abgegeben oder Gegengeschäfte für Produkte verabredet werden. In jedem Fall ist es bis heute ein „kreativer“ Prozess, herauszufinden, womit der König Kunde „bestochen“ werden kann. –
Da ändert auch das 1999 eingebrachte Gesetz nichts, wonach Bestechung und Bestechlichkeit als Straftat und nicht als Kavaliersdelikt betrachtet werden. Im Gegenteil: Jetzt ist man gehalten, es nicht ans Licht kommen zu lassen, was überall üblich ist. Es ist ähnlich wie mit der Prostitution: Sie ist verboten, wird aber stillschweigend geduldet. –
Diese doppelte Moral ist einfach nur ätzend!
Man betrachte sich nur das öffentliche Schauspiel, bei dem Herr Ackermann straffrei bleiben kann, ein bestochener Schiedsrichter Hoyzer aber verurteilt wird. „Die Großen lässt man laufen, die Kleinen will man hängen“, so heißt es allerorten. Wenn dann noch die Erinnerung an die verschiedenen politischen „Skandale“ wach wird, in denen Bestechung nachgewiesen wurde, ist die Volksseele überfordert. Einerseits weiß man, dass man selbst in vielerlei Hinsicht Täter und nicht Opfer ist (siehe die einführenden Sätze, die im Grundsatz unser aller Bestechlichkeit spiegeln), andererseits schockiert die Unverfrorenheit, mit der man im großen Stil sich Vorteile verschafft, indem bewusst Millionenbeträge für Bestechung eingesetzt werden. – Aber spielt die Größenordnung der Bestechungsgelder wirklich die entscheidende Rolle, ob es akzeptabel oder verwerflich ist?
Die Realität ist, dass der Werteverlust in unserer Gesellschaft so gravierend ist, dass das, was wir von Bestechung und Bestechlichkeit wissen, nur die Spitze des Eisbergs ist. Dahinter liegen in der Analogie die vielfältigen Krankheiten, z.B. Bandscheibenvorfall, Stoffwechsel-Beschwerden, aber auch Identitätsverlust, Burnout-Syndrom und Depression, Politik-Verdrossenheit, Null-Bock-Einstellung – und die Flucht in magisch-mystische Spinnereien, die inhaltlich nichts mit einer ernsthaften Esoterik, die – richtig verstanden – aus dem Jammertal helfen könnte, zu tun haben.
Damit gebe ich mir selbst das Stichwort, wie wir aus der Falle der doppelten Moral herausfinden können. Jetzt! – Die geistigen Gesetze geben vor, dass wir das ernten, was wir gesät haben. Wenn wir heute so viel Unlauteres zu beklagen haben, wenn das unsere Ernte ist, dann muss zeitlich davor die Saat dazu eingebracht worden sein. Wir haben es damals zugelassen, jetzt hängen wir mit da drin. – Lassen Sie uns verstehen, wie es dazu kommen konnte. Lassen Sie uns „den Schatten umarmen“ und verzeihen – auch den Siemens-Managern. Und gleich danach lassen Sie uns eine neue Saat einbringen (ich hoffe, dass wir noch einen geeigneten Acker dafür finden; andernfalls müssen wir ganz aus dem System aussteigen…)und uns auf die alten Werte besinnen: die Tugend, Ethik, Anstand.
Das Paradoxe daran ist, dass diese Werte sich aus ihrem Gegenteil nähren – so wie alles in unserer polaren Welt. Insofern können wir den Bestechenden wie den Bestechlichen auch dankbar sein. Das wäre – aus meiner Sicht – bestechend.