„links“ und wach sein
„Wir haben soziale Unruhe“ – so wird Oskar Lafontaine zitiert. Andere erwarten erst soziale Unruhen – zum Beispiel Gesine Schwan und Theo Sommer. Ihnen ist die vernichtende Kritik der Andersgläubigen gewiss, dass sie mit einer solchen veröffentlichten Meinung erst die sozialen Unruhen provozierten, allen voran unser derzeitiger Bundespräsident.
Man kann ja politisch stehen, wo man will, aber wenn das das Kriterium für Realitätssinn ist, kann man nur „links“ sein und muss Gesine Schwan als Bundespräsidentin wählen. Sie hat wenigstens den Mut, zu offenbaren, dass wir mittlerweile im Verhältnis von Kapital zu Arbeit in eine solche Schieflage gekommen sind, dass irgendwann alle Ablenkungsmanöver nichts mehr nutzen werden und die Unterdrückten bzw. Benachteiligten ihre bereits vorhandene Unruhe, die sie meist noch im „stillen Kämmerlein“ austragen, über die Stammtische hinaus auch auf die Straße bringen werden.
Wir wissen um das Resonanzgesetz und können im Moment noch davon ausgehen, dass die Mehrheit in der deutschen Bevölkerung darauf vertraut, dass die Krise von jenen gemeistert werden könne, die sich in der Vergangenheit den Ruf erworben haben, sie seien in wirtschaftlichen Bereichen kompetenter als andere. Wie wäre es sonst zu erklären, dass die FDP im Aufwind ist? Sie steht (in der Opposition) für einen Neo-Liberalismus, der längst von der Realität überholt worden ist. Die Theorien eines Milton Friedman (1912-2006) hatten ihre Zeit. Die Wirklichkeit hat Wunschvorstellungen und Modellrechnungen der vermeintlich „besseren“ Ökonomen überrollt. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, die Finanzmärkte sind, wo sie noch immer Kapitalismus, Marktwirtschaft und Wettbewerb unter Ausschluss des Staates, also alles in privater Hand, mit allen Mitteln zu erhalten suchen, so entartet, dass wir z.B. feststellen müssen, dass die Zahl der Milliardäre von ehemals 200 auf über 1000 gestiegen ist und 5 % der Bundesbürger 46 % des Nettogesamtvermögens aller Bundesbürger über 17 Jahre besitzen. Hätte man mehr Resonanz zu den Erkenntnissen des Ökonomen und Nobelpreisträgers George Joseph Stigler gehabt, wären die Auswüchse des Kapitalismus nicht möglich gewesen. Dann hätte es staatliche Reglementierung und keine freien globalen Kapitaltransfers gegeben. Dann müssten die Manager börsennotierter Unternehmen nicht alternativlos Personal entlassen, um ein Sinken des Aktienkurses und damit eine befürchtete feindliche Übernahme des eigenen Unternehmens zu verhindern.
Die Realität spricht eine eindeutige Sprache. Doch es ist zu befürchten, dass Max Planck Recht behält, indem er feststellte, dass sich das System wohl erst ändern kann, wenn die, die es schafften, gestorben sind. –
In diesem Zusammenhang erwähne ich noch einmal das Buch von Tilman Jens „Demenz“, in dem er seinen Abschied von seinem verehrten Vater beschreibt. Er geht davon aus, dass der geistige Verfall mit der Aufdeckung der Nazi-Vergangenheit seines Vaters begonnen habe. Er hätte nicht zugeben können, dass das eine Jugendsünde war, für die er einstehe, weil er es damals nicht besser gewusst hätte. Nein, er hat wie die meisten der Jahrgänge 1922-1927, die uns authentisch von ihren Nöten, Zwängen, Einsichten im Dritten Reich hätten berichten können, geleugnet bzw. unter dem Vorwand, sich nicht erinnern zu können, vernebelt, was hätte geklärt werden müssen. – Verpasste Chancen, denn nur über das Verstehen finden wir zum echten Verzeihen! –
Und noch eine Assoziation ergibt sich: In der letzten „Lebens(t)räume“-Ausgabe machte ich auf das Buch der ARD-Korrespondentin Bettina Marx „GAZA – Berichte aus einem Land ohne Hoffnung“ aufmerksam (Verlag Zweitausendeins, www.zweitausendeins.de). Auch hier finden sich die Ursachen des Konfliktes bzw. entarteter Entwicklungen in der Vergangenheit. Man buddelt in der Erde nach historischen Beweisen, dass das Land doch den Israelis gehöre und nicht den in der jüngeren Geschichte vertriebenen Palästinensern. Man macht unter diesem Vorwand den Gaza-Streifen zu einem Gefängnis, einem Ghetto, wie es nie ein größeres gab – und es sind jene, die es schaffen, die wie niemand sonst in Ghettos gelitten haben. Die Welt schaut dabei zu. Und die wenigen, die die Dinge beim Namen nennen, werden beschimpft und im Extrem als Terroristen gebrandmarkt.
Wenn wirklich Frieden werden soll, was ja alle angeblich wollen (wenn es nur nach ihren jeweiligen Vorstellungen abliefe), hilft – aus meiner Sicht – nur eines: sich auf die Realität HIER und JETZT zu besinnen. Die Vergangenheit ruhen zu lassen und ein Miteinander ohne althergebrachte Feindbilder zu versuchen. Das bedeutet, Grenzen zu öffnen.
Wie ein friedliches Miteinander aussehen kann, ist beispielhaft in der Charta der Vereinten Nationen beschrieben, ist in der Theorie wunderbar in einer päpstlichen Enzyklika zum Zusammenwirken der Religionen erfasst, ist im Buddhismus des Dalai Lama wach gehalten.
Die ethischen Grundlagen sind da, doch wer setzt sie um? Wo ist das Feld, auf dem diese Erkenntnisse umgesetzt werden und gedeihen können?
Kommunismus und Kapitalismus sind es nicht.
Diktatur und Demokratie (wie wir sie erleben) sind es nicht.
Katholizismus und Islamismus und sonstige -ismen sind es nicht. –
Ein Versuchsfeld bietet die Seele des Menschen, in der die Weisheit des Universums verankert ist. Hier ist die Vielfalt aller Aspekte der Weltenseele zuhause. Hier ringen sie als Persönlichkeitsanteile miteinander und suchen Gleichberechtigung im multiplen Menschen. Wenn Sie dazu eine Anleitung suchen, empfehle ich Ihnen ein Buch, das vor ca. 15 Jahren geschrieben wurde und inhaltlich zeitlos wahr und wunderbar klar ist: „Der multiple Mensch“ von Dr. Peter Orban (Schirner-Verlag, ISBN 928-3-89767-454-8).
Über allem ist die Liebe!