Von einer verborgenen Harmonie zu sprechen, bedeutet, einen Unterschied zu einer offensichtlichen Harmonie zu machen. „Friede, Freude, Eierkuchen“ heißt es, wenn erkennbar wird, dass der Einklang in einer bestimmten Situation vorgespielt und gekünstelt ist. Es ist der Eindruck entstanden, dass Unterschiede unter den Tisch gekehrt sind und nicht offen ausgesprochen werden. Der schöne Schein wird aufrechterhalten und Disharmonie und Widerspruch werden unterdrückt; Missklang wird vermieden.
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Viele gehen davon aus, dass eine solche Verhaltensweise sinnvoll sei, weil es doch um die Selbstbeherrschung ginge, wenn Frieden im Umfeld erzeugt bzw. erhalten bleiben soll. Aber wie sieht es mit dem Frieden in der eigenen Seele aus? Hier wird in aller Regel mehr und mehr Druck aufgebaut, weil das Eigene im Unterbewusstsein nach Offenbarung drängt. Es gärt im Inneren. Schließlich stinkt einem alles – doch noch immer wird das Ventil nicht aufgemacht, das die Ahnung zur Gewissheit führen könnte, dass die persönliche Harmonie nur gefunden werden kann, wenn eine Streitkultur provoziert wird, aus der die Erkenntnis sprießt, dass Harmonie im Widerstreit liegt. Nur durch das offene Austragen unterschiedlicher Wahrnehmungen zu einer Wirklichkeit ergibt sich der Reichtum an Erfahrungen, wie These und Antithese zu einer Synthese finden, wie aus Zwietracht Eintracht entsteht, wie aus einem todesähnlichen, sprachlosen Zustand Lebenshitze entsteht, wenn sich das Herz öffnet und dessen Rhythmus im individuellen Temperament Ausdruck findet.
Wenn das Lügen und Verleugnen ein Ende haben und sich jeder zu dem bekennt, was er jetzt und hier gerade ist, dann ist das heldenhaft. Denn dafür wird man in der deutschen Anpassergesellschaft nicht geliebt, weder von der Obrigkeit noch von seinen Nachbarn – und erst recht nicht von seinen Familienmitgliedern. Hier heißt es nämlich: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! – Widerspruch wird als aufsässig begriffen, wird als zerstörerisch wirkende Aggression gegeißelt.
Dies bringt „Duckmäuser“ hervor, erzeugt Hörige gegenüber den Vorgesetzten, aber auch die Untergrundkämpfer, die Kriminellen, die die Schein-Ordnung ins Wanken bringen.
Beide sind nicht in ihrer Mitte. Beide haben nicht das rechte Maß gefunden, ihre individuellen Ziele mit den Zielen der sie umgebenden Kräfte in Übereinstimmung zu bringen.
Das aber sollte das Ziel eines aufgeklärten Menschen sein. – Doch wie ist das zu erreichen?
Dazu müsste es ein Erziehungskonzept geben, das vorgibt, dass es DIE Welt nicht gibt, sondern jeder in seiner Welt lebt, dass wirklich jeder eine andere Aufgabe in dieser Welt zu erfüllen hat – und dass jeder in seiner Eigenart wertvoll wie eine Perle ist, aber ein Zusammenwirken mit anderen dem gleichkommt, dass viele Perlen den höheren Wert ausmachen und deshalb an einem „roten Faden“ aufgereiht werden sollten. Dieser „rote Faden“ ist das Wirken nebeneinander, jeder mit seinen ureigenen Fähigkeiten, um eine Welt zu gestalten, wo die schwarze Perle genauso viel wert hat wie die weiße und die rote und die gelbe. Jede repräsentiert ihren eigenen Wert. Sie haben alle nebeneinander Platz. Sie sind nicht durch irgendwelche Knoten getrennt, sondern berühren sich, eng am Faden aneinanderliegend. Ihre Herkunft verleugnen sie nicht, sondern zeigen sie stolz und sichtbar am Hals der Menschheit, an jener symbolischen Stelle, wo das, was sie ausmacht, diese Menschheit, geschluckt werden will und wo das, was ihr zum Hals heraushängt – dieser Menschheit -, auch ausgekotzt werden will. Am Wert der Perlenkette ändert das nichts. Sie wirkt. Sie ist Zeuge dessen, was durch sie erwirkt wird: im Aufnehmen und Abgeben, im Schlucken und Kotzen. –
Wenn ich diesen abstrakten Gedanken nun das Konkrete unterschiebe, meine ich, dass wir vor unserer eigenen Tür kehren sollten. Das, was an „Schmutz“ wegzufegen ist, heißt Selbstgefälligkeit. Dies drückt sich vielfach so aus, dass das Fremde oder der Fremde als minderwertig oder gar gefährlicher als das Eigene eingestuft ist. Durch eine Erhöhung des Selbstwertgefühls würde sich eine Harmonie einstellen, die bedeutet:
a) Ich bin ein Mann und als solcher wertvoll. Um mehr zu werden, brauche ich eine Partnerin /einen Partner. Sonst gibt es zum Beispiel keine Kinder und auch keinen geistigen Gewinn. – So muss Geteiltes zusammenfinden, um etwas Neues, Erweiterndes zu erzeugen.
b) Ich bin Deutsche/r. Ich bin wertvoll. Ich bin mir bewusst, dass ich in diesem „Sozialstaat“ Werte genieße, die es in anderen Ländern nicht gibt. Diese Werte sind auf Zeit geliehen. Sie wollen geteilt werden, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Dann sind es wieder gemeinsam zu verwaltende Werte.
c) Ich bin Europäer/in. Ich habe mitgeholfen bzw. zugestimmt, dass nationale Grenzen aufgehoben wurden. Damit wurde frühere Engstirnigkeit überwunden und ein erweitertes Freiheitsgefühl erworben. Diese Freiheit gönne ich auch anderen und öffne deshalb weitere Grenzen und nehme die sich damit verbindende Aufgabe der Integration von Fremdem gerne auf mich.
d) Ich bin ein/e Weltbürger/in. Ich folge nicht mehr Politikern oder Philosophen oder Priestern, die Theorien verbreiten, wonach das eine besser sei als das andere. Es sei denn, der Kern der Lehre heißt: Die verborgene Harmonie in jedem Staatsbürger, ob im Westen, Norden, Osten, Süden, ist besser als die offensichtliche einer Nato oder Katholischen Kirche.
e) Ich bin ein Mensch. Ich lebe in meiner, von Geburt an bestimmten Welt. Entsprechend des Samens, aus dem ich hervorgegangen bin, entwickle ich mich, trage Früchte in die Welt. Ich schenke diese meinen Nächsten. So liebe ich diesen Nächsten wie mich selbst. In diesem Sinne folge ich Jesus, Buddha, Krishna. – Wo dies nicht geschieht, bekenne ich mich als Mensch: entsprechend meiner Bestimmung handelnd, immer zwischen Himmel und Erde pendelnd, aber „strebend bemüht“. – Mehr und mehr verlerne ich die Bewertungen von gut und böse, wie sie dem Mann und der Frau, dem Deutschen, dem Europäer dem Weltbürger angedichtet werden. Denn vor Gott sind alle gleich. Was ja nur heißt, dass Verzweiflung, die durch die Trennung von gut und böse entstanden ist, in dem EINEN Gott zur Erlösung führt.
Die „verborgene Harmonie“ ist also im Göttlichen: im Kern von allem, was in dieser Welt als getrennt erscheint.